"Es ist ein kompliziertes Thema, aber erklärbar“, so Doreen Göpke, eine der wenigen Lehrer, die in Deutschland als eigenständiges Schulfach auf hohem Niveau unterrichten: Wirtschaft.
Doreen Göpke lehrt etwas, was Lehrer in Deutschland
nur noch selten tun: Sie unterrichtet Wirtschaft als eigenständiges
Schulfach auf hohem Niveau. Themen ihres anspruchsvollen Unterrichts sind
Wirtschaftssysteme, Wettbewerbspolitik, soziale Sicherung, Finanzpolitik und
Handelspolitik. Wenn die junge Lehrerin aufzählt, was ihre Schüler im Grund-
oder Leistungskurs alles lernen, kommt schon etliches an Worten zusammen „Im
Grunde genommen ist das über die Jahre ein halbes wirtschaftswissenschaftliches
Grundstudium“, sagt Göpke. Sogar über die Geldpolitik der Europäischen
Zentralbank, die für viele Erwachsene ein Buch mit sieben Siegeln ist, wissen
ihre Schüler am Ende der 12. Klasse Bescheid. „Es ist ein kompliziertes Thema,
aber erklärbar“, sagt Göpke.
Selbst Schüler der fünften und sechsten Klasse
unterrichtet die 31-Jährige am Bremer Gymnasium Horn schon in Wirtschaft.
Hier geht es erst einmal um Themen aus dem Lebensumfeld der Kinder wie
Taschengeld, Werbung und Hauswirtschaft. Das Lehrmaterial für ihre
Wirtschaftsstunden allerdings muss aus Artikeln, Texten und Broschüren von der
jungen Lehrerin erst selbst aufbereitet werden. Gute und aktuelle Bücher sind
für dieses Fach nicht erhältlich, sagt sie. Für die angagierte Lehrkraft
ist ein umfassender Wirtschaftsunterricht unabdingbarer Teil der
Allgemeinbildung. „Die Schüler sollen doch befähigt werden, mündig handeln zu
können“, beschreibt sie ein sehr wichtiges Ziel ihres Unterrichts. Mit ihrer
Auffassung, Wirtschaft gehöre zur Allgemeinbildung, steht sie inzwischen in
Deutschland nicht allein. Nicht erst seit gestern stehen ökonomische Themen wie
die Staatsschuldenkrise oben auf der politischen Agenda – Themen, die für
wirtschaftlich Ungebildete schwer zu verstehen sind. Gestritten wird nun aber
darüber, ob es ein eigenes Schulfach geben muss, das dann von ökonomisch gut
gebildeten Lehrern überall unterrichtet wird. Vor allem zwischen
Wirtschaftsvertretern und Gewerkschaften ist darüber jetzt eine Diskussion
entbrannt.
Im Jahr 2000 waren die gesteckten Ziele da anders:
Damals haben die Arbeitgebervereinigung BDA und der Deutsche Gewerkschaftsbund
(DGB) einstimmig ein Memorandum veröffentlicht, in dem sie die Einführung eines
Schulfaches Wirtschaft in den allgemeinbildenden Schulen in allen
Jahrgangsstufen forderten. Sie verlangten außerdem, die dafür benötigten Lehrer
in speziellen Studiengängen auszubilden. Das bestehende, nur punktuelle
Aufgreifen weniger wirtschaftlicher Themen in anderen Fächern wie Erdkunde,
Geschichte oder Sozialkunde sei definitiv nicht ausreichend. „Gut zehn Jahre
später sind wir von einem bundesweit einheitlichen Fach Wirtschaft an
allgemeinbildenden Schulen immer noch weit entfernt“, stellt Dirk Loerwald,
Oldenburger Professor für ökonomische Bildung, fest. Nur in einigen
Bundesländern und leider auch nur an ausgewählten Schulformen ist die Lage nach
Loerwalds Ansicht zufriedenstellend. Gut umgesetzt werde das Thema in
Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg. Die Wahrscheinlichkeit, in
Deutschland die allgemeinbildende Schule ohne wirtschaftliche Grundbildung zu verlassen,
schätzt Loerwald immer noch als hoch ein. Die Gewerkschaften haben sich von der
Forderung nach einem eigenen Fach leider verabschiedet. Ganz offensichtlich
hatte die Wirtschafts- und Finanzkrise einen Sinneswandel in dem Denken der
Gewerkschaften bewirkt. In jüngeren Stellungnahmen warnen der DGB und die
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vor einer einseitigen
Vereinnahmung ökonomischer Bildung durch Ökonomen und sprechen sich gegen ein
monodisziplinäres Fach Wirtschaft aus. Ökonomische Fragen müssten ihrer Meinung
nach im Zusammenhang mit gesellschaftlichen, politischen und ökologischen
Aspekten behandelt werden.
Wie unterschiedlich die Meinungen zum Fach Wirtschaft
ausfallen, ist derzeit in Nordrhein-Westfalen zu beobachten. Dort läuft seit
2012 ein Versuch: An einigen ausgewählten Realschulen wird Wirtschaft in einem
eigenen Fach unterrichtet. Dafür setzt sich in dem größten Bundesland in
Deutschland sogar eine Gewerkschaft ein: Lehrer NRW, die die Interessen vor
allem von Realschullehrern vertritt. Lehrer NRW verlangt, Wirtschaft dauerhaft
als Pflichtfach einzuführen.
Bereits bei der Ankündigung des Modellversuchs war die
Resonanz mehr als positiv. Dreißig Schulen sollten teilnehmen, viel mehr
bekundeten Interesse – es wurden ganze siebzig. Wirtschaftsdidaktik-Professoren
arbeiteten ein spezielles Curriculum aus. Und die betroffenen Lehrer machten
begeistert mit, laut der Vorsitzenden von Lehrer NRW, Brigitte Balbach. „Ich
habe es in den letzten Jahren nicht erlebt, dass sich eine Gruppe von
Lehrern einer Sache mit so viel Herzblut annimmt“, lobt sie. „Die Lehrkräfte
wissen, dass die Zeit reif ist. Und die Schüler ziehen mit.“ Dass die
Beteiligten, Schüler wie Lehrer, das Fach Wirtschaft unbefristet haben
wollen, zeigt eine aktuelle Umfrage: 80 Prozent sprechen sich uneingeschränkt
für das Fach Wirtschaft aus.
Doch die Aussichten sind leider nicht positiv. Die
rot-grüne Landesregierung hat den zunächst einjährigen Modellversuch, der von
einer CDU-Ministerin beschlossen wurde, zwar um ein Jahr verlängert, stehe aber
nicht dahinter, sagt Balbach. Der Fokus liege auf dem Fach
Verbraucherbildung. „Es soll um Konsum, Ernährung, Gesundheit,
Verantwortung für sich und andere gehen.“ Die Lehrervertreterin ist nicht
begeistert: „Es geht nicht um eine gute Lösung, es geht um die Profilbildung
von Rot-Grün. Und Grün will uns erzählen, was wir essen und trinken dürfen,
dass wir nicht rauchen sollen und was wir sonst noch dürfen oder nicht.“
Verbraucherbildung allein sei aber viel zu wenig, Schüler brauchen einen
systemischen Zugang zu ökonomischem Wissen.
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